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Skillbasiertes Recruiting in Deutschland: Hype oder Hoffnung?

In der deutschen HR-Welt ist immer häufiger von skills-based hiring die Rede – also der Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten auf Basis ihrer Fähigkeiten, nicht allein auf Grundlage von Abschlüssen oder Berufsjahren. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels klingt das nach einer idealen Lösung: mehr Talente erreichen, mehr Diversität fördern, weniger starre Anforderungen.

Doch ein Blick in die Praxis zeigt: Skillbasiertes Recruiting ist (noch) kein Wundermittel.


Was bedeutet skills-based hiring überhaupt?

Im Kern geht es darum, Stellen nicht mehr an klassischen Lebensläufen oder Berufsbezeichnungen festzumachen, sondern an konkreten Fähigkeiten. Dazu gehören zum Beispiel Problemlösungskompetenz, Kundenorientierung oder der Umgang mit bestimmten Tools. Auf dem Papier klingt das moderner, gerechter und zukunftsorientierter.

Aber es gibt drei zentrale Herausforderungen, die den Erfolg in der Praxis bislang ausbremsen:


1.

Was genau ist eigentlich eine Skill?

Theoretisch ist eine Skill eine messbare Fähigkeit. In der Realität sind viele Begriffe schwammig. Was für die eine Recruiterin „kommunikativ stark“ bedeutet, ist für den anderen „kann gut vor Publikum reden“. Und wie misst man „Belastbarkeit“ oder „Lernbereitschaft“ objektiv?

In Deutschland fehlt bislang ein breit akzeptiertes, praxisnahes Skill-Framework wie etwa ESCO (EU) oder O*NET (USA). Viele Unternehmen entwickeln eigene Listen, aber selten konsistent oder messbar. Die Folge: Unsicherheit statt Orientierung.


2.

Stellenausschreibungen sind weiter titelgetrieben

Ein Blick auf Stepstone oder Indeed genügt. Die meisten Anzeigen beginnen mit: „Wir suchen eine(n) Marketing Manager (m/w/d) mit mindestens 5 Jahren Berufserfahrung, abgeschlossenem Studium und C1-Deutschkenntnissen.“

Wo sind die Skills? Wer prüft, ob fünf Jahre Erfahrung wirklich mit Kompetenz gleichzusetzen ist? Solange Stellenausschreibungen nicht konsequent auf Skills umgestellt werden, bleibt das Konzept eine gut gemeinte Theorie.


3.

Die Auswahl bleibt subjektiv

Auch wenn Skills definiert sind, ist deren Bewertung oft subjektiv. Besonders bei Soft Skills unterscheiden sich Wahrnehmung und Bewertung stark. Strukturierte Interviews oder Tests helfen, werden aber selten systematisch eingesetzt.

Viele Entscheidungen basieren weiterhin auf Bauchgefühl, Lebenslauf oder Sprachakzent – obwohl offiziell nach Fähigkeiten gesucht wird.


Was funktioniert besser?

Skillbasiertes Recruiting braucht mehr als neue Schlagworte. Es erfordert einen strukturellen Wandel im Auswahlprozess:

  • Klare Definition der wichtigsten Skills pro Rolle

  • Umformulierung der Stellenanzeigen in Skill-Sprache

  • Objektive Bewertungskriterien mit nachvollziehbaren Skalen

  • Schulung von Führungskräften und Recruitern im Skill-Assessment

  • Enge Zusammenarbeit zwischen Fachabteilungen, HR und Recruiting

Einige Vorreiter in Industrie und Logistik testen gezielt praktische Fähigkeiten statt Zeugnisse. Start-ups verzichten ganz auf Lebensläufe. Es gibt Bewegung – aber keine breite Umsetzung.


Fazit: Skills-based hiring ist kein Allheilmittel aber eine Richtung

Der deutsche Arbeitsmarkt braucht Skills

Nicht nur auf Papier

Sondern in Form von konkreter Kompetenz

Erkennbar

Messbar

Entwickelbar

Aber dafür braucht es mehr Klarheit, mehr Mut zur Veränderung

und die Bereitschaft, vertraute Strukturen loszulassen

Denn skills-based hiring ist keine Methode

sondern eine Haltung

Und die verändert man nicht mit einem neuen Tool